Wusstest du, dass man auch Geld verdienen kann, indem man Strom verbraucht,
den man eigentlich noch gar nicht benötigt?
Klingt doch seltsam, vor allem wenn man bedenkt, dass der Strompreis gefühlt stetig steigt und das Thema Strommangellage omnipräsent ist. Doch die Konstruktion unseres Stromnetzes und dessen anfälliges Gleichgewicht machen genau das möglich.
Das Stichwort heisst Regelenergie. Sie sorgt im schweizerischen Stromnetz für die Stabilität und ermöglicht Zusatzverdienste für Unternehmen und Privathaushalte mit entsprechender Infrastruktur.
Alles im Lot?
Die Stabilität unseres Netzes ist ein Balanceakt. Stromverbraucher und Stromproduzenten müssen sich immer im exakten Gleichgewicht befinden.
Ist dieses Gleichgewicht gegeben, dann liegt die Netzfrequenz im gesamten Netz bei 50 Hertz. Wird zu viel Strom produziert und eingespeist, steigt die Frequenz. Wird zu wenig produziert und zu viel Strom konsumiert, sinkt sie entsprechend.
Bei Abweichungen von 0,2 Hertz und mehr kann es bereits kritisch werden. Im schlimmsten Fall droht ein Netzzusammenbruch, ein sogenannter Blackout.
Da dies unter keinen Umständen passieren darf, müssen das Netz, die Produktion und der Konsum ständig überwacht und koordiniert werden.
In der Schweiz übernimmt diese strategische Aufgabe die Swissgrid.
Blackouts sind in der Schweiz Ausnahmefälle. Teilblackouts können aber immer wieder geschehen. Unternehmen, welche auf einen ständigen Serverzugriff angewiesen sind und selbst keine Backupstrukturen zur Verfügung haben, können ihre IT-Systeme in Colocation-Datacenter auslagern, um gegen diese Unsicherheit gewappnet zu sein.
Im ColoBâle Datacenter übernimmt die Überwachung und die Kontrolle des Netzes die USV. Sie koordiniert die Backupsysteme, wie die Notstromgeneratoren, im Falle eines Blackouts. Kunden können somit bis zu 3 Wochen mit Strom versorgt werden.
Wie kommen Netzschwankungen zustande?
Schwankungen können durch viele Umstände eintreten. So sorgen beispielsweise auch kleinere Verbraucher mit ihren Gewohnheiten regelmässig für Schwankungen. Sie tragen dazu bei, dass der Stromverbrauch üblicherweise am Wochenende und nach Feierabend höher ist als tagsüber. Gegen Abend laufen die Fernseher, die Mikrowellen, die Backöfen und die Elektroladestationen auf Hochtouren. Eine kurzfristig erhöhte Nachfrage nach Strom senkt die Frequenz im Stromnetz.
Dasselbe passiert auch, wenn verschiedene Industrie- und Gewerbebranchen tagsüber plötzlich ihren Maschinenpark hochfahren. Auch der stetige Ausbau von Solar- und Windkraftwerken stellt die Koordinatoren des schweizerischen Stromnetzes vor neue Herausforderungen. Das Wetter ist nicht immer genau vorhersehbar, und so kann es durchaus sein, dass an einem vermeintlich sonnigen Tag durch eine spontan auftauchende Wolkenflut zu wenig Strom durch Solar eingespeist wird oder ein unvorhersehbarer, windiger Tag die Frequenz nach oben treibt.
Kleinere regelmässige Schwankungen können Stromversorger und Produzenten allerdings gut durch Erfahrung und Prognosen einschätzen und kalkulieren, so dass die Schwankungen vom zentralen Versorgernetz (beispielsweise Kraftwerke) selbst ausgeglichen werden können. Zudem investieren schweizerische Unternehmen fortlaufend in neue Technologien, welche die Entwicklung und Implementierung neuer Systeme und Methoden zur Regelung des Stromnetzes beinhalten. Dies umfasst die Nutzung von Smart-Grid-Technologien, künstlicher Intelligenz und Algorithmen, um die Koordination zu optimieren und gleichzeitig Kosten zu senken.
Was passiert aber, wenn einmal die Wetterprognosen komplett falsch waren oder ein Kraftwerk unerwartet ausfällt? Hier kommt die Regelenergie ins Spiel.
Um die Frequenz stabil zu halten, muss die Regulierung schnell in der Lage sein, Strom aus dem Netz zu ziehen oder entsprechend herbeizuführen. Daher unterscheidet man bei der Regelenergie zwei Systeme.
- Negative Regelenergie: Strom wird verbraucht und die Frequenz gedrosselt.
Positive Regelenergie: Strom wird generiert und die Frequenz erhöht.
Weiterhin unterscheidet man, wie schnell die Leistung abgerufen werden kann.
So ergeben sich drei Stufen der Regelenergie.
Primärregelung
Teilnehmende Anlagen müssen innerhalb von 30 Sekunden die reservierte Leistung erbringen können. Diese sehr schnelle Reaktion wird automatisch durch Turbinen und Generatoren von Kraftwerken und Batterien europaweit ausgeführt. Die Primärregelung wird nur im ersten Moment zur Stabilisierung eingesetzt und wird von der Sekundärregelung schnellstmöglich abgelöst, damit sie für einen nächsten Einsatz wieder zur Verfügung steht.
Sekundärregelung
Teilnehmende Anlagen müssen innerhalb von 5 Minuten die reservierte Leistung erbringen können. Hier kommen heimische schweizerische Kraftwerke oder grössere Unternehmen ins Spiel. Sie werden durch Swissgrid aktiviert.
Tertiärregelung
Teilnehmende Anlagen müssen innerhalb von 15 Minuten die reservierte Leistung erbringen können. Dabei haben auch kleinere Unternehmen oder Private mit der nötigen Infrastruktur die Möglichkeit, ihren Beitrag zu leisten. Dazu gehören sowohl Produzenten wie Kleinkraftwerke, Notstromanlagen, Kehrichtverbrennungs- oder Kläranlagen (positive Regelenergie) sowie Verbraucher wie zum Beispiel Einrichtungen mit Kühlhäuser, Kompressoren und Pumpen (negative Regelenergie).
Um partizipieren zu können, müssen die Anlagen einen gewissen Stromleistungsgrad haben. Sollte der zu klein sein, gibt es auch die Möglichkeit, sich an ein virtuelles Kraftwerk anzuschliessen (allerdings gilt es bisweilen auch dort einen gewissen Schwellenwert zu erreichen). Nach der Anmeldung muss ein Qualifikationsverfahren durchlaufen werden. Wird dieses erfolgreich absoviert, dann ist man bereit für den Ersteinsatz.
Das Vorhalten der Regelenergie für den Notfall bekommen die Teilnehmer am Regelenergiemarkt vergütet.
Fallbeispiel ColoBâle Datacenter Pratteln
Da unser Datacenter nebst Notstromanlagen auch Kühlkompressoren für den täglichen Betrieb benötigt, sind wir für Regelenergie ideal geeignet.
Daher haben wir beschlossen, ab 2024 auch unseren Beitrag zur Stabilität des schweizerischen Stromnetzes zu leisten. Da die wichtigste Infrastruktur bereits vorhanden war, dauerte der Umbau nur wenige Wochen. Das Qualifikationsverfahren wurde im Frühling durchlaufen und somit sind wir nun in Bereitschaft, Strom zu generieren oder auch abzunehmen, sollte es vonnöten sein.
Für diese Bereitschaft bekommen wir vom Bund eine Entschädigung. Im Fall eines Einsatzes dann noch zusätzlich der zuvor festgelegte Preis für die Strommenge, die abgenommen oder produziert wird. Bei einem Einsatz der negativen Regel Energie profitieren wir so in mehrfacher Hinsicht.
Unser Kühlsystem besteht aus zwei 20`000 Liter Wassertanks. Diese werden durch die Aussenluft und mittels Kühlkompressoren gekühlt. Sie sind unsere Generatoren für die negative Regelenergie. Bei einer Aktivierung können wir somit unser Wasser zusätzlich kühlen und werden gleichzeitig dafür entlohnt.Wir benötigen für den Betrieb Wassertemperaturen von 17-22 Grad. Werden die Temperaturen durch einen Einsatz tiefer gekühlt, brauchen wir dementsprechend später weniger Energie, um das Wasser zu kühlen. Die Energie wird sozusagen zwischengespeichert.
Für den positiven Regelenergie-Einsatz stehen unsere Notstromgeneratoren in Bereitschaft. Die 900 PS Dieselmotoren können auf Abruf eine Leistung von 1 MW hervorbringen. Dies entspricht der Stromversorgung von 1500 Haushalten. Einer dieser Motoren ist allerdings in jedem Fall unseren eigenen Kunden vorbehalten. Ihre Sicherheit geht vor.
Aussicht und Fazit
Entwarnung: So drastisch wie es sich anhört, ist es nicht. Durch die gute Regelung und Koordination des schweizerischen Stromnetzes durch die Swissgrid ist es eher die Ausnahme, dass durch negativ Regelenergie-Einsätze unnötig Strom verbraten werden muss. Allerdings sind die Einsätze zunehmend. Unter anderem auch durch den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energieproduzenten, welche vermehrt Schwankungen produzieren.
Allerdings werden hier auch durch Investition und Forschung neue Technologien, wie Anwendungen mit KI, fortlaufend implementiert. Dies führt zu mehr Stabilität und geringeren Kosten.
Wir als Rechenzentrum freuen uns, einen kleinen Beitrag zur schweizerischen Netzstabilität beizutragen. Mit der negativen Regelenergie können wir auf reserve Kühle erzeugen und somit selbst Energie sparen. Somit können wir unseren ökologischen Fussabdruck reduzieren und mit generierten Einnahmen, durch Regelenergie, in die eigene Firmeninfrastruktur reinvestieren.
Wir sehen das als eine WinWinWin-Situation.
Wir sorgen in unserem Kerngeschäft selbst für Netzstabilität, indem wir Notstrom und redundante Klimatisierung für unsere Kunden gewähren.
Somit weiten wir bei dieser zusätzlichen Aufgabe nur unseren Wirkungskreis aus.